5. Nicht-Erzwingen

Nahezu unser gesamtes Tun und Lassen ist zielgerichtet und zweckbestimmt. In der Meditation kann diese Tendenz jedoch zu einem echten Hindernis werden. Meditation unterscheidet sich von jeder anderen menschlichen Aktivität, und obwohl auch sie auf ihre Weise viel Anstrengung und Arbeit verlangt, ist sie keine Aktivität im alltäglichen Sinn, sondern aktives Nicht-Tun. Das einzige »Ziel« des Meditierenden ist, er selbst zu sein. Nun ist jeder Mensch schon »er selbst«, und so scheint diese Zielsetzung paradox. Aber gerade diese scheinbare Paradoxie verweist auf eine neue Form, sich selbst zu betrachten. Diese andere Art der Selbstbetrachtung, in der es weniger um das Wollen und mehr um das Sein geht, entwickeln wir bewusst durch die Haltung des Nicht-Erzwingens. Wenn Sie sich zur Meditation mit Gedanken hinsetzen wie zum Beispiel: »Ich will mich entspannen, Erleuchtung erfahren, meinen Schmerz besiegen, ein besserer Mensch werden«, dann tragen Sie in Ihre Geisteshaltung eine Zielvorstellung hinein, mit der die Vorstellung eines Mangels einhergeht: »Wäre ich nur entspannter, intelligenter, fleißiger, hätte ich ein gesünderes Herz oder gesündere Knie, dann würde mir nichts fehlen. In meinem gegenwärtigen Zustand bin ich weit davon entfernt.« Eine solche Haltung unterbindet die Entwicklung von Achtsamkeit, bei der es ja darum geht, einfach nur dem aufmerksam zu folgen, was geschieht. Wenn Kursteilnehmer von ihren Ärzten zu uns geschickt werden, so hat das natürlich seinen guten Grund. Zu Beginn unserer Kurse bitten wir sie daher, drei Ziele zu benennen, an denen sie im Verlauf des Programms arbeiten wollen. Zu ihrer Überraschung empfehlen wir ihnen dann aber, während der acht Wochen keinerlei Anstrengung zu unternehmen, um diese Ziele zu erreichen, also nicht zu versuchen, den Blutdruck zu normalisieren, Angst zu überwinden oder schmerzfrei zu werden, sondern sich ausschließlich auf die Gegenwart zu konzentrieren und den Meditationsanweisungen genau zu folgen. Wie wir noch sehen werden, kommt man durch die Meditation am besten zu Ergebnissen, wenn man vom Streben nach Zielen ablässt und stattdessen die ganze Aufmerksamkeit darauf richtet, die Dinge in ihrem Sosein zu sehen, Augenblick für Augenblick.


aus: Gesund durch Meditation, Jon Krabat-Zinn